Unter dem Eindruck unserer Podiumsdiskussion möchten wir unsere Religionslehre, die wir in unseren Statuten darlegen, nach und nach in Bezug auf religionsrechtlich relevante Begriffe wie Transzendenz, Mythos, Ethos und Ritus erweitern, indem wir diese noch deutlicher auf unser atheistisches Welt- und Menschenbild anwenden. Klingt vielleicht kompliziert, kann aber durchaus eine reizvolle Herausforderung sein! Außerdem möchten wir die Formulierung von § 2 Absatz 1 der Statuten etwas vereinfachen.
Zu diesem Prozess möchten wir alle Mitglieder (und andere Interessierte) herzlich einladen: bitte lest euch unsere Vorschläge durch (Änderungen gegenüber der derzeit geltenden Fassung durch Fettdruck hervorgehoben) und macht von der Möglichkeit Gebrauch, sie zu kommentieren — wir sind schon sehr gespannt auf eure Ideen!
(1) Wir, die Mitglieder der “Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich”, bekennen uns beim Versuch, die Gestaltung der Welt und unsere Stellung als Menschen in ihr zu erklären, in religiöser Selbstbestimmung als “Atheistinnen” beziehungsweise “Atheisten” und
(a) glauben, dass nicht Gottheiten uns Menschen erschaffen haben, sondern dass jeweils Menschen ihre Gottheiten (und ihre Geschichten und so weiter) erschaffen haben beziehungsweise erschaffen, sodass alle diese Gottheiten (und ihre Geschichten und so weiter) letztlich immer nur als jeweils von Menschen erschaffene Gottheiten (und ihre Geschichten und so weiter) existieren, und
(b) wollen, dass dieses religiöse Bekenntnis auch als ein solches in einem umfassenden Sinn in Österreich anerkannt wird.
(2) Wir glauben daher, dass nicht Gottheiten uns Menschen unseren Ethos gegeben haben, sondern dass unser Ethos jeweils von uns Menschen entwickelt und ausgehandelt wurde beziehungsweise wird.
(3) [zum Ritus]
(4) Wir erkennen dabei immer an, dass es vieles gibt, was jenseits unseres Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizontes liegt, und können die Wirklichkeit dieses Nicht-Gewussten beziehungsweise Nicht-Erfahrenen auch ohne Letztbegründung gelassen akzeptieren. Wir glauben, dass unser Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizont nicht starr ist, sondern sich verschieben kann.
Eine neue Version des § 3 der Statuten könnte mit “Zwecke und Ziele der religiösen Bekenntnisgemeinschaft und Rechte und Pflichten der Mitglieder” überschrieben sein und folgendermaßen lauten:
(1) Als religiöse Bekenntnisgemeinschaft “Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich” verfolgen wir das langfristige Ziel einer vollen Gleichberechtigung und Anerkennung als Religionsgesellschaft in Österreich. Wir wollen damit neue Räume der kulturellen Partizipation eröffnen und einen gesellschaftlichen Wandlungsprozess dessen, was und wie religiös geglaubt wird, sichtbar machen.
(2) Alle Mitglieder haben das Recht auf kostenlose Mitgliedschaft (vergleiche § 7 Absatz 1) und auf jederzeitige kostenlose Beendigung der Mitgliedschaft (vergleiche § 4 Absatz 2); eine Änderung dieser Rechte ist jedenfalls ausgeschlossen.
(3) [zum Ritus]
(4) Alle Mitglieder, insbesondere die Mitglieder des Präsidiums, sind dann, wenn sie ausdrücklich in ihrer Eigenschaft als Mitglieder beziehungsweise als Organe der “Atheistischen Religionsgesellschaft in Österreich” handeln, an die Statuten der religiösen Bekenntnisgemeinschaft gebunden.
6 responses so far ↓
1 wolfgang // Feb 20, 2013 at 02:12
die formulierung “neue räume der kulturellen partizipation” finde ich interessant…
auch in hinblick auf punkt 3, ritus.
therapeutische rituale und (atheistische oder nicht-religiöse) ersatzriten sind ja teils bereits üblich – und wo nicht, besteht bedarf an “neuen räumen der partizipation” mit sozialer und psychischer wirkung.
allerdings ist im sinne einer wortgenauen exegese somit die schaffung von religiös-atheistischen räumlichkeiten gemeint?
2 peter apfalter // Mrz 5, 2013 at 10:28
Wir glauben, dass unser Wissens- beziehungsweise Erfahrungshorizont nicht starr ist, sondern sich entsprechend unseren wissenschaftlich nachgewiesenen Erkenntnissen weiterentwickeln wird.
(Erde ist eine Scheibe, Evolution etc.)
“verschieben kann” ist sehr beliebig….
3 hermann Geyer // Mrz 6, 2013 at 10:25
Transzendenz: Wir glauben, dass Wahrheit, Gerechtigkeit, Schönheit, (…?) hier und jetzt immer nur unvollkommen verwirklichbar sind, sie unsere Möglichkeiten hier und jetzt stets transzendieren. Dennoch sehen wir in ihnen gerade ihrer Transzendenz wegen anzustrebende Ideale.
Ethos: wir fühlen uns verpflichtet, uns in jeder Situation um ein Gelingen des Ganzen im Hinblick auf transzendente Ideale wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Schönheit, (…?) zu bemühen.
4 Clemens // Mrz 22, 2013 at 10:33
@hermann Geyer 6.3. …
Das kann so stehenbleiben, ich würde mir allerdings in bezug auf Transzendenz und Ethos als Mitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft wünschen, mich nur dann, wenn ich in meiner Eigenschaft als Mitglied der Atheistischen Religionsgesellschaft handle, ausdrücklich dazu verpflichtet sehen zu müssen, im Sinne des Statuts der Atheistischen Religionsgesellschaft transzendenzbezogen und nach ihren ethischen Grundsätzen zu handeln.
5 Roland Giersig // Mai 15, 2013 at 10:38
Find ich soweit gut, was mir fehlt, ist ein integratives Statement, etwa:
(2a) Wir glauben daran, dass jeder Mensch das Recht hat, sich seine eigenen Gottheiten zu erschaffen und das dies nicht im Widerspruch zu einer atheistischen Grundeinstellung steht.
Klingt paradox, aber wenn man Atheismus so definiert, dass nur die Existenz von äußeren Gottheiten abgelehnt wird, aber nicht die Existenz von inneren, von Menschen geschaffenen Gottheiten, dann passt das wieder.
Warum ich das für wichtig halte: damit kann jemand Mitglied der ARG sein und sich trotzdem als Pastafari oä bezeichnen…
6 F. // Aug 30, 2013 at 22:56
Herr Giersing, das klingt allerdings sehr paradix und meiner Ansicht nach nicht vereinbar mit einer Ablehnung zu Gottheiten. Menschen die gläubig sind zu akzeptieren ist etwas anderes, wie die Akzeptanz der imaginären Gottheiten, was definitiv nicht mit Atheismus vereinbar ist.
Mir fehlt ein “anarchistischer Blickwinkel” , orientierend an Bakunins Lehren. Aus Sicht der Menschenrechte ist Atheismus sehr zentral.
Jede Gottheit legitimiert auch sämtliche Herrschaften auf der Erde, wie es bereits Bakunin erwähnt hat.