Atheistische Religionsgesellschaft in Österreich

Gleiche Rechte – kulturelle Partizipation – Sichtbarmachung

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Rückblick Podiumsdiskussion

22 Januar 2013 · 1 Kommentar

Unsere Podiumsdiskussion im Depot (Breite Gasse 3, 1070 Wien) dauerte etwa zweieinhalb Stunden. Es waren ca. 40 Besucher anwesend, die sich nach dem Podiumsgespräch rege an der Diskussion beteiligten. Vielen Dank für das Interesse! Am darauffolgenden Mittwoch, dem 16. Jänner, wurde um 18.55 Uhr in der Ö1-Sendung “Religion aktuell” über unsere Diskussionsveranstaltung berichtet (ab 2:30). Ein ausführlicherer Beitrag wurde im Rahmen der Ö1-Sendung “Praxis – Religion und Gesellschaft” am Mittwoch, dem 6. Februar gesendet; dieser ist bis 13. Februar auf der Ö1-Website in der Rubrik “7 Tage Ö1” (unter “Mi” für Mittwoch) abrufbar.

Im Folgenden eine Zusammenfassung der Diskussion durch Bernhard Reiter:

Brigitte Schinkele erläuterte zunächst den religionsrechtlichen Kontext: um justiziable Begriffe zu bekommen, müsse der Staat als neutrale Institution Religionen als vorgefundene Phänomene betrachten und im Zweifelsfall das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religion als Entscheidungsgrundlage heranziehen. Das Kriterium, das Religionen von (nichtreligiösen) Weltanschauungen unterscheide, sei ihr Transzendenzbezug, den sie im Fall des Atheismus im allgemeinen nicht sehe. Atheismus sei eine negatorische Position, für eine atheistische Weltanschauung(sgemeinschaft) im Rechtssinn sei eine umfassende Deutung der Welt und der Stellung des Menschen in ihr erforderlich.

Grundrechtlich bestehe jedoch ohnehin eine Gleichstellung von Weltanschauungen und Religionen nach der Europäischen Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang habe. Eine Diskriminierung unter korporationsrechtlichem Aspekt bestehe insofern, als sich Weltanschauungsgemeinschaften zwar als ideelle Vereine nach dem Vereinsgesetz konstituieren können, ohne jedoch dadurch staatlicherseits als Weltanschauungsgemeinschaften im Rechtssinn identifiziert zu sein. Aus ihrer Sicht wäre daher neben den religiösen Bekenntnisgemeinschaften die Schaffung nicht-religiöser Bekenntnisgemeinschaften als Rechtsform zu fordern. Dafür wäre allerdings eine umfassende Deutung von Welt und Mensch im angesprochenen Sinn erforderlich, was sie im Falle der Atheistischen Religionsgesellschaft nach ihren derzeitigen Statuten vermisse.

Auf die Bemerkung der Moderatorin Angelika Rohrbacher hin, die wissenschaftliche Definition des Begriffs Religion sei keineswegs als abgeschlossen zu betrachten, erläuterte Hans Gerald Hödl die grundlegende Unterscheidung funktionaler und essentialistischer Religionsbegriffe. Während letztere versuchten, Merkmale festzumachen, die Religionen von allen anderen Weltanschauungen unterscheiden, in der Regel aber zu eng gefasst seien und bestimmte Religionen ausschlössen, stelle der funktionale Religionsbegriff die Frage, ob die Funktionen von Religion von anderen kulturellen Bereichen erfüllt werden könnten. Diese Frage laufe auf eine Frage nach dem Transzendenzbezug hinaus.

Zum Begriff der Transzendenz zitierte Hans Gerald Hödl sinngemäß eine Definition des Soziologen Thomas Luckmann [1]: demnach bezeichne kleine Transzendenz die Fähigkeit, sich auf Dinge zu beziehen, die sich dem unmittelbaren Sinneseindruck entziehen (z.B. im Rahmen von Sprache und Erinnerung); mittlere Transzendenz beschreibe die Fähigkeit, sich auf den geistigen Fluss anderer Personen einzulassen und diese nachzuvollziehen; und unter großer Transzendenz verstehe man tiefe Empfindungen wie Träume, Ekstasen oder z.B. die Wahrnehmung einer All-Einheit. Religionen seien die Verwalter der großen Transzendenzen.

Für den Gesetzgeber sei nun bei der Identifizierung von Religionen gegenüber profanen Kultursystemen (wie z.B. Kunst oder Sport) die Transzendenz eine der ausschlaggebenden Dimensionen; die anderen seien die rituelle (Ritus) und die handlungspraktische (Ethos), während andere Dimensionen wie die materielle (Anm.: z.B. Kultgegenstände) oder intellektuelle (Anm.: z.B. Theologie) keinen Eingang in die Beurteilung fänden. Hans Gerald Hödl warf die Frage auf, ob sich die ARG auf eine derartige spezifische Erfahrungstranszendenz berufe; er selbst habe den Eindruck, dass die ARG in ihren Statuen (§2) lediglich eine Projektionsthese formuliere, mit der sie sich auf religiöse Erfahrungen anderer Religionen beziehe, und damit Objekt- und Metasprache vermische. Eine Beschäftigung mit Religionen auf Meta-Ebene mache noch keine eigene Religion; es gebe ja auch keine “Kirche der Religionswissenschafter”.

Ursula Baatz konstatierte, dass die Negation, auf der die Atheistische Religionsgesellschaft im Kern beruhe, sich nicht in eine Positivdefinition wandeln lasse. Man könne Religion als eine Menge von Vorstellungen definieren, die mit Gefühlen verbunden seien, die ihrerseits Motiviationen erzeugten, sodass man diese Vorstellungen für wirklich halte. Generell sei der Atheismus in Europa in Opposition gegen die Allianz von Thron und Altar/Kirche entstanden und folglich in einem klaren sozialen und politischen Kontext verortet. Davon zu unterscheiden seien Strömungen wie der im 19. Jahrhundert von Ernst Haeckel gegründete Monistenbund, die versuchten, Naturwissenschaft zur Religion zu erheben. Sie stelle sich daher die Frage, ob die ARG einen kritischen Zugang oder eher den “Kuschelfaktor” verfolge. Für letzteres spreche das von ihr wahrgenommene Streben der ARG nach Privilegien, die Religionsgemeinschaften gegenüber anderen Weltanschauungsgemeinschaften haben. Sie vermisse im Fall der ARG Mythos, Ethos und Ritus, die in Religionsrecht und -wissenschaft traditionell als Kriterien für eine Religion herangezogen werden. Jedenfalls würden Religionen nicht Gottheiten als vom Menschen geschaffen verstehen, wie das von der ARG vertreten werde.

Auf die Frage von Wilfried Apfalter, ob das denn historisch-genetisch fixiert sei, verwies Gerald Hödl auf die Yoruba, deren Gottheiten, die Orisa, tatsächlich von den Menschen gemacht werden, allerdings in anderem Sinne als jenem der ARG, nämlich indem sie nur durch Verehrung durch ihre Anhänger am Leben erhalten werden können [2], wobei Hans Gerald Hödl auf die allgemeine Problematik der internationalen Anwendbarkeit des Begriffs der Gottheit hinwies.

Im Zusammenhang mit der von Ursula Baatz zitierten Religionsdefinition verwies Alexander Rezner auf die Möglichkeit, tiefe Empfindungen außerhalb eines transzendenten Kontexts z.B. aufgrund wissenschaftlicher Theorien zu erleben: Er führte das anthropologische Konzept eines “Flaschenhalses” an, einer Situation mit vielleicht lediglich ein paar Tausend menschlichen Individuen, von denen alle heute lebenden Menschen abstammten, was sehr wohl ein Gefühl tiefer Verbundenheit hervor rufen könne.

Hans Gerald Hödl erläuterte die unterschiedlichen Tiefen von Gefühlen, die vom alltäglichen Verständnis der Dinge “at face value” über eine wissenschaftliche Einstellung bis hin zur religiösen Empfindung reiche, der eine wirklichkeitsprägende Kraft und ein autoritativer Ursprung (Anm.: z.B. eine Gottheit) zugeschrieben werde. Wenn ein Mythos aus Wissenschaft begründet werde, so sei er als Ideologie zu verstehen.

Wilfried Apfalter zitierte aus den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage, die dem Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften zugrunde liegt; demnach sei Religion ein “[h]istorisch gewachsenes Gefüge von inhaltlich darstellbaren Überzeugungen, die Mensch und Welt in ihrem Transzendenzbezug deuten sowie mit spezifischen Riten, Symbolen und den Grundlehren entsprechenden Handlungsorientierungen begleiten.” [3] Diese Kriterien sah Brigitte Schinkele im Fall der ARG nicht erfüllt und fragte, wo die ARG Diskriminierung gegenüber bestehenden Religionsgemeinschaften sehe.

Alexander Rezner verwies auf die staatliche Förderung konfessioneller Schulen durch lebende Subventionen (LehrerInnen). Dem hielt Schinkele entgegen, dass im Rahmen des Elternrechts die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Eltern der unterrichteten Kinder innerhalb des staatlichen Schulsystems geachtet werden müssten und sich der Staat insgesamt durch die Privatschulen einen Aufwand erspare. Auf Nachfrage ergänzte sie, dass eine Diskriminierung insofern bestehe, als Privatschulen in Trägerschaft sowohl von eingetragenen religiösen Bekenntnisgemeinschaften als auch von Weltanschauungsgemeinschaften im Gegensatz zu jenen von gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgemeinschaften keinen Rechtsanspruch auf Subventionierung hätten. Weiters verwies Alexander Rezner darauf, dass zur parlamentarischen Enquete zum Thema Ethikunterricht zwar Vertreter von Religions-, nicht aber von Weltanschauungsgemeinschaften eingeladen worden sei, die z.B. Positionen wie jene des evolutionären Humanismus (Anm.: z.B. Giordano-Bruno-Stiftung) vertreten hätten können.

Eine Diskussionsteilnehmerin aus dem Publikum wies anschließend darauf hin, dass es sehr wohl eine de-facto-Diskriminierung von AtheistInnen gebe, die sich formal in der Formulierung “ohne religiöses Bekenntnis” in Schulzeugnissen u.ä. äußere, was als Mangel gewertet werde. Eine andere Diskussionsteilnehmerin aus dem Publikum schloss sich dieser Ansicht an und berichtete von der Schulklasse ihres Sohnes, der dort als einziger Konfessionsloser bei der Ausnahme vom Religionsunterricht oder von Bräuchen wie einer Schultütensegnung auf Widerstand und Unverständnis stoße. Hans Gerald Hödl führte dies auf die starke kirchliche Prägung der österreichischen Gesellschaft zurück; Brigitte Schinkele auf die schlechte Organisation in einem Einzelfall und betonte, dass eine Überbetonung negativer Religionsfreiheit zu einer weit gehenden Einschränkung positiver Religionsfreiheit (Anm.: also einer Einschränkung von Religionsausübung) führen würde. Im Kollisionsfall bedürfe es der Herstellung eines schonenden Ausgleichs.

Ein Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum erkundigte sich, ob die ARG — wie andere Religionen — Gründer- oder Lehrerfiguren bzw. sogar Propheten verehre, im konkreten Fall z.B. Feuerbach, Nietzsche, Marx, oder Dawkins. Wilfried Apfalter verneinte, woraufhin Alexander Rezner ergänzte, dass auch der Buddhismus ohne Gottheiten auskomme. Dies wurde wiederum von Ursula Baatz mit Hinweis auf das Weltbild des Pali-Kanons bestritten.

Eine Diskussionsteilnehmerin aus dem Publikum wies darauf hin, dass der Zusammenschluss von AtheistInnen als Religionsgesellschaft emotionalen Rückhalt geben und den Rechtfertigungsdruck auf einzelne Mitglieder abmildern könne (speziell z.B. in Krisensituationen wie Todesfällen), was auch ohne Legitimation durch eine autoritative Kraft erstrebenswert wäre und der bisher häufig wahrgenommenen Vereinzelung von AtheistInnen entgegen wirken könnte. Alexander Rezner schloss sich an und hob die Bedeutung für Kinder hervor, die ein intrinsisches Bedürfnis einer Zugehörigkeit zu etwas hätten und sich nicht ausgeschlossen fühlen wollten. Angelika Rohrbacher meinte, dass dies Diskussionspunkte seien, die eher mit anderen Religionsgesellschaften zu besprechen wären als mit den PodiumsdiskutantInnen, die großteils VertreterInnen des Weltdeutungssystems Wissenschaft seien.

Ein weiterer Diskussionsteilnehmer aus dem Publikum äußerte, dass er es am besten finde, wenn die (Anm.: auch von anderen DiskussionsteilnehmerInnen aus dem Publikum angesprochenen) Privilegien für Religionsgemeinschaften gänzlich abgeschafft würden, drückte aber sein Verständnis für den Weg der ARG aus, diese Privilegien aufzuweichen, indem man sie auch für AtheistInnen in Anspruch nehme.

Quellen
[1] Vgl. z.B. Thomas Luckmann (1991), Die unsichtbare Religion. Mit einem Vorwort von Hubert Knoblauch (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Bd. 947), Frankfurt am Main: Suhrkamp, pp. 167-168.
[2] Karin Barber (1981), “How Man Makes God in West Africa: Yoruba Attitudes Towards the ‘Orisa'”, in: Africa: Journal of the International African Institute, Vol. 51, No. 3 (1981), pp. 724-745, DOI: http://dx.doi.org/10.2307/1159606.
[3] Regierungsvorlage für das Bundesgesetz über die Rechtspersönlichkeit von religiösen Bekenntnisgemeinschaften (Nr. 938 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates der XX. Gesetzgebungsperiode, Allgemeiner Teil, III. Begriffe).

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1 response so far ↓

  • 1 Eso-Policier // Feb 12, 2013 at 11:26

    Es ist unsinnig, die Menschen in Gottgläubige und “ungläubige” Konfessionsfreie zu unterteilen. Denn nach einer Umfrage sagen zurzeit ca. 30 % der Konfessionsfreien: “Ich glaube nicht nur das, was ich sehe.” Tatsächlich gibt es keinen absolut allmächtigen Gott. Aber in der Natur gibt es unendlich viele Dinge, die dem Menschen ewig verborgen sind. Wer das glaubt, ist irgendwie religiös. Und es gibt auch viele religiöse Konfessionsfreie, die gelegentlich mit Freien Theologen zu tun haben.